Bei Geschwindigkeitsverstößen ist seit langem die Tendenz zu erkennen, aus dem Grad der Überschreitung auf vorsätzliches Verhalten zu schließen. Dieser Tendenz gilt es, entschieden entgegen zu treten.
Es sollte im Einzelfall genau überprüft werden, welche äußeren Umstände für die Annahme eines vorsätzlichen Verhaltens überhaupt in Betracht kommen und welche Feststellungen dazu getroffen werden können.
ln diesem Sinne hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz mit Beschluss vom 15.11,2021, Az. 3 OWi 32 Ss Bs 239121 überzeugend aufgezeigt, dass selbst bei einer sehr starken Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstandes nicht allein aufgrund des Ausmaßes der Unterschreitung auf vorsätzliches Verhalten geschlossen werden darf.
lm entschiedenen Fall hatte der Betroffene mit einer Fahrtgeschwindigkeit von 126 km/h einen Abstand von nur 17 m und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes eingehalten. Es wurde ein Bußgeldbescheid erlassen, der vorsätzliche Tatbegehung vorsah. Der Betroffene hat Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht hat sich der Auffassung der Bußgeldbehörde angeschlossen und auf vorsätzliche Tatbegehung entschieden, weil sich der Abstand über eine gesamte Distanz von 300 m nicht geändert habe. Auf die Rechtsbeschwerde hat das OLG Koblenz festgestellt, dass diesbezüglich ein Widerspruch vorlag. Es war einmal von einer Strecke von 250 m und an anderer Stelle eine Strecke von 300 m zugrunde gelegt worden. Zudem fehlten in den Urteilsgründen lnformationen zur zeitlichen Dauer der Abstandsunterschreitung sowie zum Fahrverhalten der beteiligten Fahrzeuge.
Zutreffend haben die Richter aufgezeigt, dass allein aufgrund der Tatsache, dass der Mindestabstand zu gering war, nicht auf Vorsatz geschlossen werden darf. Schließlich könnte auch die Fahnweise des vorausfahrenden Fahrzeuges ursächlich gewesen sein, z. B. abruptes Gaswegnehmen, Bremsen, plötzliches Ausscheren vor dem Betroffenen. Denkbar wäre auch, dass der Betroffene nur ganz kurz zu dicht aufgefahren war, weil er aufgrund der konkreten Verkehrssituation davon ausgehen durfte, der Vordermann werde, unter Beachtung des Rechtsfahrgebotes, die Überholspur freigeben.
Es sei angeraten, in jedem Fall zu widersprechen, wenn man selbst der Auffassung ist, dass man nicht bewusst und gewollt sich im Straßenverkehr fehlverhalten hat, sondern, dass es so passiert ist, ohne dass man es richtig realisiert hat.
Mitgeteilt von Klaus Leinenweber
Fachanwalt für Verkehrsrecht